Begriffslexikon
Aktive Maßnahmen - “Active Measures”, russ. активные мероприятия, Transliteration aktiwnyje meroprijatija
Aktive Maßnahmen waren und sind verdeckte Einfluss- und Destabilisierungstaktiken des sowjetischen KGB (und später des russischen FSB/GRU), die darauf abzielen, westliche Staaten politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich zu schwächen. Sie umfassen Desinformation, Sabotage, politische Einflussnahme und gezielte Destabilisierung gegnerischer Gesellschaften.
Ein zentrales Element Aktiver Maßnahmen war neben der Fälschung von Dokumenten zur Diskreditierung des Gegners die Rekrutierung sogenannter "Einflussagenten", die entweder die breite Öffentlichkeit oder politische Entscheidungsträger im Sinne Moskaus manipulieren sollten.
Ein historisch bekanntes Beispiel für eine besonders wirkungsvolle Operation der sowjetischen Geheimdienste, in Zusammenarbeit mit den Diensten der DDR, war die Infiltration und Manipulation der westdeutschen Friedensbewegung.
Eine berüchtigte Desinformationskampagne des Kalten Krieges ist die unter dem Namen "Operation Infektion" bekannte Einflussoperation. Dabei wurde das Narrativ verbreitet, dass HIV von den USA in einem Labor entwickelt worden sei – eine Theorie, die bis heute unter Verschwörungstheoretikern kursiert. Jahrzehnte später tauchten ähnliche Falschinformationen zu COVID-19 auf, darunter Behauptungen, das Virus sei in ukrainischen und georgischen Biolaboren entwickelt worden.
Die Toolbox der Aktiven Maßnahmen wird heute – im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten – von allen autoritären Regimen genutzt. Dabei ist entscheidend zu verstehen, dass sämtliche Methoden aus dem Kalten Krieg weiterhin relevant sind und aktiv eingesetzt werden. Cyberoperationen wie Trollfarmen oder Doppelgänger-Netzwerke ergänzen diese Taktiken lediglich, haben sie aber nicht ersetzt.
Allerdings haben moderne Cyber-Maßnahmen die Reichweite und den Einfluss klassischer Offline-Operationen massiv verstärkt. Beispiele hierfür sind:
Reden einschlägiger Sprachrohre Moskaus, die gezielt in sozialen Netzwerken verbreitet werden.
Fotos von Graffiti oder Symbolen, die unter falscher Flagge platziert wurden und anschließend auf Social Media für propagandistische Zwecke genutzt werden.
Links zu Desinformationsinhalten aus der Offline-Welt, darunter Bücher oder Artikel, die russische, chinesische oder allgemein antiwestliche Narrative enthalten.
Die digitale Verbreitung solcher Inhalte verstärkt den Einfluss Aktiver Maßnahmen enorm und ermöglicht eine schnelle und kostengünstige Manipulation der öffentlichen Meinung in Zielstaaten. So werden klassische subversive Techniken mit modernen Mitteln ergänzt, was die Wirkung solcher Operationen weiter maximiert.
Aktive Maßnahmen können darauf abzielen, kurzfristiges Verhalten zu manipulieren, aber auch eine langfristige Destabilisierung einer demokratischen Gesellschaft bewirken. In diesem Fall spricht man von ideologischer bzw. politischer Subversion. Sie sind eng verwandt – wenn auch nicht vollständig identisch – mit vielen Methoden, die heute unter dem Begriff „Hybride Kriegsführung“ zusammengefasst werden.
Desinformation
Unter Desinformation versteht man die bewusste Verbreitung von Falschinformationen mit dem Ziel, einem Gegner – etwa einem Staat, einer Gruppe von Personen, einem Unternehmen oder einer politischen Partei – zu schaden. Misinformation hingegen bezeichnet eine falsche Information, die ohne schädliche Absicht verbreitet wurde.
Einflussagenten
Unter Einflussagenten versteht man Personen, die bewusst oder teilweise unbewusst im Auftrag eines autoritären Regimes Einfluss auf demokratische Gesellschaften ausüben. Dies kann sowohl die Beeinflussung der öffentlichen Meinung als auch die Einflussnahme auf Entscheidungsträger umfassen – gewissermaßen eine Form der Lobbyarbeit.
Einflussagenten zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie in der Gesellschaft großes Vertrauen genießen und über Meinungsmacht sowie Reichweite verfügen. Daher sind insbesondere Intellektuelle, Akademiker (vor allem mit Professorentitel), Ex-Militärs, Diplomaten sowie Journalisten – sowohl aus etablierten als auch aus sogenannten „Alternativmedien“ – zur Rekrutierung attraktiv. In jüngerer Zeit gewinnen auch Social-Media-Influencer zunehmend an Bedeutung.
Während einige Einflussagenten direkt für Geheimdienste arbeiten – historisch beispielsweise für den KGB oder die Stasi –, erfolgt die Zusammenarbeit in anderen Fällen indirekt über Proxies wie Oligarchen oder Think Tanks. In manchen Fällen werden Einflussagenten sogar unbewusst rekrutiert oder gelenkt. Dies geschieht durch exklusive Einladungen zu Konferenzen mit First-Class-Flügen, Interviewangebote in regierungsnahen Medien, direkten Zugang zu hochrangigen Politikern autoritärer Regime und weitere Maßnahmen, die darauf abzielen, das Ego der jeweiligen Person zu schmeicheln und sie langfristig für bestimmte Narrative empfänglich zu machen.
Staatlich kontrollierte Auslandspropagandakanäle dienen zudem als Drehscheibe für die direkte oder indirekte finanzielle Unterstützung von Einflussagenten.
Obwohl einige Einflussagenten bewusst für ihre Tätigkeit belohnt werden, profitieren sie in jedem Fall von ihrer Rolle – sei es durch Geld, Ansehen oder Zugang zu exklusiven Netzwerken. „Nützliche Idioten“ hingegen handeln aus reiner Überzeugung und mangelndem Bewusstsein darüber, wen und was sie tatsächlich unterstützen. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht immer trennscharf, da die Übergänge in der Praxis oft fließend sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Einflussagenten als auch „nützliche Idioten“ ihre gesellschaftliche Stellung nutzen, um als Sprachrohr autoritärer Regime – insbesondere Russlands und Chinas – zu agieren. In den meisten Fällen dürfte die verbreitete Propaganda mit dem ideologischen Weltbild des jeweiligen Einflussagenten zumindest kompatibel sein oder sogar völlig übereinstimmen.
Strohmann-Argument
Ein Strohmann-Argument fingiert ein Streitgespräch mit der Gegenposition , indem den eigenen Argumenten angebliche Argumente der Gegenseite gegenübergestellt werden. Statt auf die tatsächliche Position des Gegners und seine Argumente einzugehen, wird gegen einen nicht anwesenden, fiktiven Gegner – den „Strohmann“ – argumentiert.
So werden diesem oft verzerrte und undifferenzierte Versionen der gegnerischen Argumentation in den Mund gelegt. Es wird dann behauptet, die Widerlegung der Strohmann-Position wäre eine Widerlegung der tatsächlichen Position des Diskussionsgegners. Da der Strohmann im Gegensatz zu einem realen Streitgegner nicht auf differenzierte Einwände eingehen oder sie gar zurückweisen kann, handelt es sich dabei aber um einen Sophismus der Sorte Argumentum ad populum. Alternativ kann das Strohmann-Argument als Spezialform der falschen Prämisse betrachtet werden.
False Balance (falsche Ausgewogenheit) tritt nicht nur im Journalismus und in den Medien auf, sondern auch bei Live-Veranstaltungen wie Diskussionsrunden. Dabei werden unterschiedlichen Positionen gleichermaßen Raum und Gewicht eingeräumt, selbst wenn eine Seite klar im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten steht oder Propaganda-Narrative zugunsten eines autoritären Regimes verbreitet.
False-Balance-Situationen waren bereits 2014 nach der ersten, „pseudoverdeckten“ russischen Invasion der Ukraine ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen – ebenso während der Covid-19-Pandemie und heute im Kontext der vollumfänglichen russischen Invasion. In Bezug auf russische Propaganda sind False-Balance-Situationen in etablierten Medien besonders problematisch, da russische Narrative in den sozialen Medien ohnehin stark vertreten sind. Durch die Verbreitung entsprechender Inhalte aus der „Offline-Welt“ – etwa Talkshow-Beiträge oder Videoausschnitte von Russland-Apologeten oder pro-chinesischen Professoren – wird zusätzlich Content geschaffen, der sich in den sozialen Medien weiter verbreitet.
False Balance ist nicht zu verwechseln mit Bothsidesism, also der falschen Gleichsetzung von Angreifer und Verteidiger oder Täter und Opfer. Ein typisches Beispiel für Bothsidesism wäre die pauschale Forderung: „Beide Seiten müssen nun endlich die Kämpfe einstellen“ – eine Formulierung, die letztlich dem Aggressor zugutekommt.
FIMI (Foreign Information Manipulation and Interference) bezeichnet die gezielte Manipulation des Informationsraums, insbesondere innerhalb der Europäischen Union oder anderer Demokratien, die aufgrund der freien Meinungsäußerung anfälliger für Angriffe durch externe Akteure sind. Laut der EU-Definition handelt es sich bei FIMI um ein Verhaltensmuster, das Werte, Verfahren und politische Prozesse bedroht oder potenziell negativ beeinflusst. Solche Aktivitäten sind manipulativer Natur, werden absichtlich und koordiniert durchgeführt und können von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, einschließlich ihrer Stellvertreter innerhalb und außerhalb ihres eigenen Territoriums. Wichtig ist, dass unter Manipulation des Informationsraums nicht nur Desinformation verstanden wird, sondern jegliche Form der gezielten Beeinflussung, die dazu dient, einer ausländischen Macht einen Vorteil zu verschaffen. Dies kann durch die Verbreitung von Propaganda und Desinformation geschehen, aber auch durch die Verstärkung realer gesellschaftlicher Probleme und Skandale, um politische Spaltung, Vertrauensverlust in Institutionen und gesellschaftliche Destabilisierung zu fördern.
Die EU verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz zur Bekämpfung von FIMI, der Situationsbewusstsein, Resilienzaufbau, Störung und Regulierung sowie externe Maßnahmen umfasst, um demokratische Prozesse, Bürger und internationale Partner zu schützen.
Frontorganisation bezeichnet eine Tarnorganisation, die ihre wahren Ziele, Hintermänner oder Finanzierungsquellen verschleiert. Der Begriff stammt aus den USA und wurde insbesondere im Kalten Krieg für kommunistische Strukturen verwendet. Später fand er auch Anwendung auf verdeckte Operationen anderer Akteure. Im Gegensatz zu Vorfeldorganisationen bleibt die politische oder ideologische Zugehörigkeit einer Frontorganisation bewusst verborgen.
Im Kalten Krieg wurden so Organisationen bezeichnet, die massiv vom KGB unterwandert und gesteuert wurden, um unter dem Deckmantel des „Friedens“ Einfluss auszuüben und Moskau einen Vorteil zu verschaffen. Die Übergänge sind dabei fließend, da viele Organisationen zwar infiltriert und manipuliert wurden und werden, jedoch nicht völlig abhängig agieren oder eindeutig als reine „Frontorganisationen“ klassifiziert werden können.
Hybride Bedrohungen
Definition des Deutschen Innenministeriums
"Hybride Bedrohungen bezeichnen koordinierte, illegitime Handlungen staatlicher und staatlich gelenkter Akteure zur Durchsetzung eigener Interessen zum Nachteil eines anderen Staates, die außerhalb des Rahmens eines konventionellen militärischen Angriffs bleiben."
Hybride Bedrohungen können Maßnahmen aus dem Cyberraum (Hackerangriffe, Social Media Manipulation, Fake-Websites), aber auch in der physischen Welt umfassen (Sabotage, Einflussagenten, Anschläge, Inszenierungen, Operationen unter falscher Flagge). Mit Ausnahme von Cyberoperationen, waren viele der heutigen hybriden Bedrohungen bereits Teil des KGB Handbuchs unter dem Begriff “Aktive Maßnahmen” zusammengefasst.
Infiltration ist die Praxis des verdeckten Eindringens in Organisationen wie NGOs, Parteien, Konferenzen oder andere Veranstaltungen, um Einfluss zu nehmen, Narrative zu steuern oder Sabotageakte zu verüben. Im geheimdienstlichen Sinne ist sie vor allem als verdecktes Sammeln von Informationen bekannt. Im Rahmen aktiver Maßnahmen geht es jedoch auch um die gezielte Platzierung und Modifikation von Agenden, subversive Akte sowie die Manipulation des öffentlichen Auftretens einer Organisation oder Einheit.
Umgangssprachlich kann Infiltration auch bedeuten, dass eine Partei oder ein Verein gezielt von zahlreichen Mitgliedern mit einer gemeinsamen Agenda unterwandert wird, um deren zukünftige Politik oder Ausrichtung strategisch in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Maskirowka (russ. Маскировка) ist eine russische Militär- und Täuschungsdoktrin, die Irreführung und Desinformation umfasst. Ihr Ziel ist es, den Gegner durch falsche Informationen, verdeckte Operationen und hybride Kriegsführung so zu manipulieren, dass er falsche Schlussfolgerungen zieht, geschwächt wird oder sich leichter besiegen lässt.
Proxies
Der Begriff Proxy wird häufig fälschlich im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg verwendet, um der ukrainischen Seite ihre eigenständige Motivation zur Verteidigung ihrer Existenz abzusprechen ("Proxy War" – Stellvertreterkrieg). Tatsächlich nutzen jedoch autoritäre Staaten wie Russland und China zahlreiche Proxies, um internationale Operationen durchzuführen – sowohl im Bereich der Desinformation und Propaganda als auch bei Sabotageakten bis hin zu Terroranschlägen.
Die Rekrutierung von Einflussagenten spielt dabei eine zentrale Rolle, ebenso wie der Einsatz sogenannter "Wegwerfagenten", die beispielsweise gegen Bezahlung Sachbeschädigungen oder Attentate unter falscher Flagge ausführen sollen. Russland setzt zudem vom Geheimdienst gesteuerte oder finanzierte Unternehmen ein, um den Informationsraum zu analysieren und gezielt zu manipulieren.
Darüber hinaus werden Proxy-Unternehmen und Organisationen genutzt, um Einflussagenten zu finanzieren – etwa offiziell für Gastartikel, Forschungsarbeiten oder als Sponsoring. Auch Kreml-nahe Oligarchen spielen eine bedeutende Rolle als internationale Proxies des russischen Regimes, indem sie verdeckt Einfluss nehmen und die geopolitischen Interessen Russlands vorantreiben.
Subversion (lat. subversio „Umsturz“) bezeichnet Bestrebungen, eine bestehende Ordnung, Werte und gesellschaftliche Strukturen bis hin zur Staatlichkeit eines Landes in Frage zu stellen oder zu verändern. Während politische Subversion darauf abzielt, das politische System oder dessen Akteure zu beeinflussen oder auszutauschen, geht ideologische Subversion tiefer, indem sie die grundlegenden Werte, Ziele und das Weltbild einer Gesellschaft untergräbt.
Trollfarm oder "Trollfabrik": Größere Aufmerksamkeit erhielten die St. Petersburger Trollfarmen des damals als „Putins Koch“ bekannten Jewgeni Prigoschin (auch bekannt durch die Gruppe Wagner), insbesondere die Internet Research Agency im Jahr 2014.
Für einen in Russland überdurchschnittlichen Lohn infiltrierten damals vor allem Studenten soziale Medien, um prorussische Narrative und Falschinformationen sowohl in der Ukraine als auch in Westeuropa und Russland selbst zu verbreiten. Der Fokus lag auf der Dämonisierung der Ukraine sowie der Förderung politischer Spaltung im Westen
Im Umfeld der Trollfarmen wurde nicht nur Content verbreitet, sondern auch produziert. Gefälschte Bilder, Videos und Nachrichtenseiten wurden von staatsnahen Agenturen erstellt und anschließend von unzähligen Troll-Accounts im gesamten Netz verteilt.
Inzwischen setzt Russland verstärkt auch auf Proxy-Firmen in Ländern wie Afrika und Südostasien sowie auf KI-gestützte Manipulationstechniken.