“Friedens-Festivals” unter der Lupe
Im Juni 2025 demonstrieren Zehntausende in Rom für „Frieden“ und „gegen Wettrüsten“ und aus Kritik an der Regierung. Auch internationale und deutschsprachige Medien berichteten von den Märschen in Italien. Was bei diesen Berichten, die oft auf Pressemeldungen basieren und nur sehr kurz sind, fehlt, ist die kritische Einordnung. Welche Organisationen sind dort präsent? Welche Narrative werden dort verbreitet? Wird der Begriff Frieden, wie so oft bereits vorgekommen, von Teilnehmern missbraucht und kommt eher den Handlungen autoritärer Regime entgegen? Richtet sich die Kritik nur an den Westen, die USA, Israel oder gar die Ukraine, und bleiben Regime wie das in Russland oder im Iran von Kritik weitgehend unbehelligt?
Wir haben die Expertin für nicht-kinetische Kriegsführung und Verteidigung im Informationsbereich, Monique Camarra um eine Einordnung gebeten:
Monique Camara, ausgebildet am Institute of World Politics:
“Die am Samstag abgehaltene Kundgebung der Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) war Teil einer Kampagne, die in Italien in Abstimmung mit anderen Parteien in Europa gestartet wurde, um die europäischen Bemühungen um eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben und Waffenlieferungen an die Ukraine zu torpedieren. Sie forderten, dass die italienische Regierung Mittel vom Verteidigungsbereich in soziale Ausgaben umleitet und die Verbindungen zur „globalen Kriegspartei“ kappt. Sämtliche Aktivitäten auf der Kundgebung wurden wenig überraschend von einem Journalisten des russischen Senders Rossiya-1 aufgezeichnet, einschließlich eines „Exklusivinterviews“ mit Ex-Premierminister Giuseppe Conte.
Monique Camara, ausgebildet am Institute of World Politics
Die Hauptteilnehmer der Kundgebung waren Mitglieder der M5S-Partei, Studierendenverbände sowie Kleinstparteien der radikalen Linken (Potere al Popolo) und anti-establishment-Gruppierungen, die sich selbst als Teil der „Friedensbewegung“ bezeichnen und sich nahtlos in die Narrative einfügen, die seit Jahren von russischen Stellvertretern verbreitet werden. Es waren Fahnen mit pro-palästinensischen Symbolen neben Hammer und Sichel zu sehen.
Die Anti-EU/NATO-Bewegung rekrutierte sich überwiegend an Universitäten innerhalb der Studierendenvertretungen und über Social-Media-Kanäle, die sich an Anti-Impf- und anti-etablierten Propagandainhalten nährten. Italien hat eine lange Tradition radikaler Strömungen, die in der Vergangenheit durch sowjetische Einflussnahmen geschürt wurden und nie ganz verschwunden sind. Diese Strömungen traten nach 2012 erneut stark hervor, wurden während der Covid-Pandemie weiter verstärkt und schließlich im Frühjahr und Sommer 2022 mobilisiert, um gegen die NATO und die Unterstützung der Ukraine durch die italienische Regierung zu protestieren, wobei erneut anti-NATO-, anti-amerikanische und anti-EU-Stimmungen befeuert wurden.
Ein Hinweis auf eine gut koordinierte Operation ist die Tatsache, dass die M5S nach der Kundgebung einen Antrag im italienischen Parlament einbrachte, der eine Wiederbelebung der Wirtschafts- und Industriebeziehungen zu Russland forderte, einschließlich des Imports von russischem Öl und Gas. Damit sollten die Maßnahmen rückgängig gemacht werden, die die Regierungen Draghi und Meloni eingeleitet hatten, um alternative Gasquellen zu erschließen und die durch Russland gefährdete Energiesicherheit Italiens zu gewährleisten. Hinzu kam der Aufruf von Ex-Premier Conte, 16 anti-establishment-Parteien in Europa zu vereinen, um gegen den derzeit stattfindenden NATO-Gipfel in Den Haag zu protestieren.
Italien war lange ein Labor für das Testen russischer Narrative und Einflussstrategien. Seit der umfassenden Invasion der Ukraine durch Russland erleben wir in Italien eine anhaltende Kampagne, um die Italiener für eine antiwestliche Außenpolitik zu gewinnen – durch politische und Informationsoperationen, die offenbar Wirkung zeigen. Laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage sind die Italiener die einzigen EU-Bürger, die Verteidigungsausgaben nicht für notwendig und wünschenswert halten. Die Regierung Meloni hat es versäumt, die Italiener ausreichend über die Risiken einer solchen Haltung für unsere Zukunft und im weiteren Sinne für die europäische Sicherheit und Stabilität aufzuklären.”
Die Großkundgebung in Italien ist nicht der einzige Fall, bei dem eine Agenturmeldung ohne viel Kontext verbreitet wurde. Auch das von Carlos Santana und Eric Clapton geplante neue „Woodstock für den Frieden“ würde eigentlich bereits im Vorfeld mehr an Einordnung bedürfen. So kann man, selbst wenn man Clapton seine Entschuldigungen für die Rassismusskandale der 1970er Jahre abnehmen möchte, eine ganze Reihe neuer, obskurer Aussagen und Positionen finden, die durchaus von Relevanz sind. Gemeinsam mit Van Morrison nahm Clapton während der Pandemie den Anti-Lockdown-Song „Stand and Deliver“ auf. Das Lied enthält unter anderem die Zeile „Do you wanna be a free man, or do you wanna be a slave?“ und spielt mit der Zeile „Dick Turpin wore a mask, too“ auf den legendären britischen Straßenräuber Dick Turpin an, der im 18. Jahrhundert oft maskiert überfiel. Eric Clapton sprach in dieser Zeit auch davon, nicht in Veranstaltungsorten aufzutreten, die von Konzertbesuchern eine Impfung verlangten.
Bei einem Podcast-Interview im Mai 2024 am Kanal „The Real Music Observer“ äußerte sich Clapton in verschwörungstheoretischer Manier: „Israel is running the show, running the world, except for the BRICS.“ Clapton berichtete von einem seiner engsten Freunde, der gesagt habe, dass er sich „für Putin vor eine Kugel werfen würde“. Außerdem erzählte er, wie er die Interviews des (Anm.: als extrem russlandfreundlich bekannten) Oliver Stone gesehen hat, und warf den Strohmann in den Raum, dass man ja nichts Gutes mehr über den „Süden“, also die BRICS, sagen dürfe. Die „Anti-Russland-Stimmung“ sei so tief im westlichen Bewusstsein verankert, und ständig gebe es nur Schuldzuweisungen an China und Russland, so Clapton. Er berichtete davon, dass er sich in Russland verliebt habe, als er dorthin gereist sei. Das Beste am Tucker-Carlson-Interview mit Putin, so fügte Clapton an, sei Putins Vortrag über die russische Geschichte gewesen. Clapton forderte die Zuschauer auf, selbst nach Russland oder China zu reisen und nicht die „fucking propaganda“ zu glauben.
Zu seinem Musikerkollegen Roger Waters (ebenfalls bekannt für fragwürdige und kontroverse politische Positionen, insbesondere zu Nahost und Russland) hat er sich schon früher positiv geäußert. Dessen politische Äußerungen würden, so Clapton, sehr viel Mut erfordern. In diesem Interview stellte er zudem die Idee in den Raum, gemeinsam mit Waters Moskau oder St. Petersburg zu besuchen.
Quellen:
Eric Clapton und der “Anti Lockdown Song”, Variety, Dezember 2020 https://variety.com/2020/music/news/eric-clapton-van-morrison-anti-lockdown-stand-and-deliver-1234867073/
Interview mit Eric Claptopn “The Real Music Observer”, Mai 2024
https://www.youtube.com/watch?v=keBw11UZfEs