Das Narrativ: “Es wollen uns ja alle irgendwie beeinflussen”

Ja eh“, sagt der typische Wiener – eine klassische Form der Relativierung. Und manchmal sogar zurecht. Denn alle betreiben auf irgendeine Weise Beeinflussung: Russland, die USA, Medienhäuser, Werbefirmen – ja sogar der kleine Junge, der seiner Mutter etwas verheimlicht, oder der Autoverkäufer, der das Konkurrenzmodell schlechtredet.

Trotzdem ist nicht alles gleich. So wie das Strafrecht zwischen fahrlässiger Tötung, Totschlag und Mord unterscheidet, so müssen auch Beeinflussungskampagnen danach bewertet werden, mit welcher Absicht, welchem Ziel und welcher Wirkung sie geführt werden.

Ein Kind will meist nur Ärger vermeiden. Ein Händler will verkaufen. Doch was ist mit Staaten?

Demokratische Staaten nutzen Beeinflussungskampagnen gelegentlich zur Durchsetzung außenpolitischer Interessen – in der Regel jedoch unter Kontrolle durch Medien, Parlamente und Gerichte. Es gibt Checks and Balances. 

Autoritäre Regime wie Russland, China oder Iran hingegen setzen gezielte, strategisch geplante Beeinflussungskampagnen zur Destabilisierung demokratischer Staaten ein. Ihr Ziel ist nicht Kommunikation, sondern Subversion: Sie wollen das Vertrauen der Bürger in Institutionen schwächen, gesellschaftliche Spaltungen vertiefen und Demokratien von innen heraus beschädigen – ohne einen einzigen Schuss abzugeben.

Im Englischen unterscheidet man treffend zwischen „influence campaigns“ und „foreign interference“: Während Ersteres allgemein jede Form strategischer Meinungsbildung meint, beschreibt Letzteres gezielte, verdeckte Eingriffe in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates – genau das, was autoritäre Regime systematisch betreiben.

Diese Methoden sind alt: Sun Tsu formulierte sie bereits 500 v. Chr., der sowjetische KGB entwickelte sie weiter. Russland setzt sie seit Jahrzehnten ein – wie Hans Graf Huyn in Sieg ohne Krieg bereits Mitte der 1980er beschrieb. Als Putin 2004 an der Macht war, waren rund 78 % der Moskauer Elite ehemalige KGB-Leute oder aus sowjetischem Militär stammend, auch bekannt als “Silowiki”  – ein Beleg für institutionelle Kontinuität.

Die Fortsetzung dieser Strategie als Teil sogenannter „aktiver Maßnahmen“ wird heute unter dem Begriff hybrider Krieg erfasst – in Wirklichkeit befinden wir uns jedoch schon seit Jahrzehnten mitten darin.

Conclusio: Bei Beeinflussungskampagnen kommt es auf den Animo, den Hintergedanken und das Ziel der Handlung an, um sie einordnen zu können. Und bei dieser Einordnung lässt sich mögliche Beeinflussung des Westens nicht mit subversiven Maßnahmen autoritärer Staaten wie Russland, China oder Iran auch nur annähernd vergleichen.

Dies zeigt sich umso deutlicher, wenn man die enormen personellen Apparate und den finanziellen Aufwand dieser Regime betrachtet. Im Westen gibt es keine Trollfarmen, und westliche Geheimdienste verwenden nicht 85 % ihres Budgets auf Beeinflussung und Subversion. In Russland zB. (siehe Bezmanov-Film) ist genau das der Fall. Bereits an dieser strukturellen und personellen Dimension lässt sich die absolute Unvergleichbarkeit erkennen.

Das Argument, der Westen – insbesondere die USA – würden doch „genauso“ Beeinflussung betreiben, geht also ins Leere. Es kann und darf niemals eine Rechtfertigung für die zerstörerischen Strategien autoritärer Regime sein. Vielmehr ist es ein dringender Aufruf an die Zivilgesellschaften freier Demokratien, sich dieser Strategien bewusst zu sein – und sich nicht von ihnen verführen zu lassen.

LINKS DAZU:
“Distinguish Foreign Influence from Foreign Interference”, Advanced International Studies (SAIS) graduate school of Johns Hopkins University
https://acf.sais.jhu.edu/distinguish-foreign-influence-foreign-interference.html

“Die Macht der Silowiki”, Bundeszentrale für politische Bildung Dezember 2018
https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/nr-363/


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