MH17: Eine Fallstudie russischer Desinformation

Der Abschuss von Malaysia-Airlines-Flug MH17 am 17. Juli 2014 über den Teil der Oblast Donezk, der de facto von Russland bzw. russischen Kräften kontrolliert wurde, forderte 298 Menschenleben. Die Maschine wurde mit einem russischen BUK-Raketensystem abgeschossen – alle Insassen starben.


Zur Einordnung der Lage im Sommer 2014:

Was in vielen Medien verfälschend als „pro-russische Separatisten“, „Rebellen“ oder gar „pro-russische Aktivisten“ bezeichnet wurde, war in Wahrheit eine Mischung aus russischen Geheimdienstlern, Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, paramilitärischen Einheiten wie der Wagner-Gruppe, dem Sparta-Bataillon, der sogenannten „Russisch-Orthodoxen Armee“, sowie finanzieller Unterstützung durch putinnahe Oligarchen – begleitet von einer umfassenden Lieferung russischer Waffen.

Auch Artilleriefeuer vom russischen Staatsgebiet auf die Ukraine wurde bereits damals eingesetzt.

Lokale prorussische Extremisten – viele durch russische Propaganda radikalisiert oder kriminell vorbelastet – wurden vom russischen Geheimdienst gezielt rekrutiert und in die Strukturen dieser „Milizen“ eingebunden.

Kurz nach dem Abschuss von MH17 veröffentlichte Igor „Strelkow“ Girkin, ein russischer Warlord, ehemaliger Geheimdienstoffizier und damaliger „Verteidigungsminister“ der selbsternannten Volksrepublik Donezk, einen Beitrag auf sozialen Medien, in dem er fälschlich behauptete, ein ukrainisches Militärflugzeug sei abgeschossen worden.

Screenshot von Igor Girkins Posting auf VK, einer russischen Social Media Seite 2014

Der Moskauer Girkin verbreitete die Meldung, bevor bekannt wurde, dass es sich tatsächlich um ein ziviles Passagierflugzeug handelte. Russische Staatsmedien griffen diese Version zunächst auf, entfernten sie jedoch später wieder.

Ein russisches Oppositions-Rechercheteam um Boris Nemtsov dokumentierte, wie die Bevölkerung vor dem Vorfall durch Staatsmedien darauf vorbereitet wurde, dass die „Milizen“ bald über ein BUK-Raketensystem verfügen würden. Nach dem Abschuss wurde diese Fähigkeit von denselben Akteuren kategorisch bestritten.

Russische Medienberichte aus der Zeit unmittelbar nach dem Vorfall behaupteten fälschlich, ein ukrainisches Transportflugzeug sei abgeschossen worden – da war noch nicht bekannt, dass es sich um ein Passagierflugzeug handelte.

Ergebnisse der Untersuchungen:

Das Joint Investigation Team (JIT) – bestehend aus Ermittlern aus den Niederlanden, Australien, Belgien, Malaysia und der Ukraine – kam zu dem Schluss, dass MH17 mit einer Boden-Luft-Rakete des Typs BUK abgeschossen wurde, die zur 53. Flugabwehrbrigade der russischen Armee aus Kursk gehörte. Die Rakete wurde von Russland in die Ukraine gebracht, in der Nähe des Dorfes Pervomaiskyi bei Snizhne in der Oblast Donezk abgefeuert und anschließend wieder nach Russland zurücktransportiert.

Unabhängig davon belegte die Rechercheseite Bellingcat mithilfe von Open-Source-Materialien – wie Fotos, Videos, Social Media und Satellitenbildern – die genaue Route des BUK-Systems und identifizierte einzelne russische Soldaten, die an der Operation beteiligt waren. Die Bellingcat-Ergebnisse deckten sich weitgehend mit den Ermittlungsergebnissen des JIT und widerlegten die offiziellen russischen Behauptungen.

Ein niederländisches Gericht verurteilte im November 2022 drei Männer – darunter Igor Girkin – wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Das Gericht stellte fest, dass Russland zur Tatzeit die politische und militärische Kontrolle über das Gebiet um Snizhne und Torez in der Oblast Donezk ausübte. Russland verweigerte die Auslieferung der Verurteilten und erkannte das Urteil nicht an.

Am 12. Mai 2025 erklärte auch der Rat der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) – ein Organ der Vereinten Nationen –, dass Russland für den Abschuss von MH17 verantwortlich sei und damit gegen internationales Luftfahrtrecht verstoßen habe. Die Entscheidung erfolgte auf Grundlage einer Beschwerde der Niederlande und Australiens und ist ein völkerrechtlich bedeutsames Signal zur internationalen Verantwortlichkeit.

Die Desinformationsstrategie: Verwirrung durch unzählige alternative (Fake-)Realitäten

Ziel der russischen Propaganda war es, die öffentliche Wahrnehmung zu destabilisieren, indem unzählige widersprüchliche und bewusst gefälschte Erzählungen verbreitet wurden – ganz nach dem Prinzip: Wenn es genug „Realitäten“ gibt, bleibt keine glaubwürdig. Diese Taktik folgte dem zynischen Motto: „Flood the zone with shit“. Unter anderem kursierten folgende Versionen:

-Ein ukrainischer Kampfjet habe MH17 abgeschossen

-Eine Bombe an Bord sei explodiert

-Die Passagiere seien bereits tot gewesen

-Eigentlich sei Putins Flugzeug das Ziel gewesen

-Das BUK-System sei von ukrainischem Boden aus bedient worden

-Ein angeblicher spanischer Fluglotse habe ukrainische Kampfjets gesehen

-Russische Satellitenbilder würden ukrainische BUK-Stellungen belegen

All diese Behauptungen wurden durch das JIT, unabhängige Faktenchecker und Open-Source-Recherchen eindeutig widerlegt. Dennoch erfüllten sie ihren Zweck: Zweifel säen, die öffentliche Meinung manipulieren und die Wahrheit in einem Nebel aus widersprüchlichen Informationen verschwinden lassen.


Wenn genügend Lügen im Raum stehen, macht die Realität Pause

Trotz massiver Indizien bereits in der Frühphase verbreiten Verschwörungstheoretiker-Portale, Social-Media-Trolle und kremlnahe Staatsmedien bis heute alternative Narrative – auch im deutschsprachigen Raum.

Selbst etablierte Politiker wie der damalige SPÖ-Abgeordnete Christoph Matznetter (ehemaliger Vizepräsident der österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft) fielen durch höchst fragwürdige Narrative auf. In einem TV-Interview mit dem Sender ATV sagte Matznetter unter anderem:

Auch auf Twitter verbreitete er "spezielle Sichtweisen" (siehe Screenshot)

„Ich kenne nur Dokumente und Unterlagen, die eher darauf hindeuten, dass es BUK 16 Raketen waren, die von ukrainischen Truppen kommen.“„Ich kenne nur Dokumente und Unterlagen, die eher darauf hindeuten, dass es BUK 16 Raketen waren, die von ukrainischen Truppen kommen.“

„Wem nützt dieser Abschuss?“

„Cui bono?“

Auch auf Twitter verbreitete er "spezielle Sichtweisen" (siehe Screenshot)

MH17 – ein gut dokumentierter Fall russischer Desinformation

Der Abschuss von MH17 hat ein breites Netzwerk an Kanälen auf den Plan gerufen, um die russische Verantwortung zu verschleiern und die Schuld der Ukraine oder anderen „geheimen Kräften“ unterzujubeln. Auch damals war es bereits ein Mix aus russischen Staatskanälen, Social-Media-Trollen und Bots sowie russlandfreundlichen Fürsprechern im Westen, die aus ideologischen oder anderen Gründen gerne eine alternative Realität verbreiteten. Es stellt sich zwei Fragen: Wird Russland je zugeben, für den Abschuss verantwortlich zu sein und werden die Verbreiter absurder Sichtweisen zum Abschuss sich jemals dafür entschuldigen?

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Links:

“MH17-Abschuss: Russland laut UN-Behörde verantwortlich”, Der Standard, Mai 2025
https://www.derstandard.at/story/3000000269521/mh17-abschuss-russland-laut-un-behoerde-verantwortlich


“UN-Luftfahrtorganisation macht Russland für MH17-Abschuss verantwortlich”, FAZ, Mai 2025
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/un-luftfahrtorganisation-macht-russland-fuer-mh17-abschuss-verantwortlich-110472809.html


“MH17- ten years of Russian lying and denying”, EUvsDisinfo, Juli 2024
https://euvsdisinfo.eu/mh17-ten-years-of-russian-lying-and-denying/


“Zwei Russen und ein Ukrainer: Lebenslange Haft für drei Angeklagte im Prozess um MH17-Abschuss”, Tagespiegel, November 2022
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/ein-angeklagter-freigesprochen-gericht-spricht-drei-manner-fur-abschuss-von-flug-mh17-schuldig-8890027.html


Bellingcat Faktenchecks zum Abschuss von MH17 und zu russischen Artillerieangriffen auf die Ukraine 2014

https://www.bellingcat.com/tag/mh17/

https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2016/12/21/russian-artillery-strikes-against-ukraine/


“Matznetter bezweifelt MH17 Abschuss durch russische Separatisten”, ATV Klartext Web Extra, November 2014
https://www.youtube.com/watch?v=JQl0HujWbwY


Widersprüchliche Medienberichte der russ. Staatspropaganda, zusammengefasst in diesem Video

https://x.com/vatnik_hunter/status/1649779847525220353/video/1


Zusammenschnitt widersprüchlicher russischer Propagandamedienberichte vom Rechercheteam rund um Boris Boris Nemtsov, 2014
https://www.youtube.com/watch?v=CqXmpWQcjQ0&list=UU2HnikxQ0KklXJwmN0VSkVg&t=22s

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