Russischer Botschafter im Interview mit bizarren Antworten
Der russische Botschafter in Österreich war Interviewgast im auflagenstarken Wochenmagazin die Ganze Woche. Das Gespräch liefert, was zu erwarten war: eine Wiederholung bekannter russischer Narrative.
Der Inhalt: Kreml-Logik statt Analyse
Der Botschafter spricht vom „verbrecherischen Regime in Kiew“, von der „gefährlichen Verlegung der NATO-Militärinfrastruktur gen Osten“ (dazu siehe unseren Beitrag), von der „Sondermilitäroperation“ in der Ukraine und dem „Schutz der Bevölkerung“. Die Ukraine solle nicht der NATO beitreten, und Russland beansprucht fünf ukrainische Regionen – darunter auch solche, die es nicht vollständig kontrolliert. Zum Krieg sagt er:
„Alle unsere Ziele werden zweifelsohne erreicht.“
Der ukrainischen Regierung spricht er die Legitimität ab und beschwert sich über die „Kriegstreiber aus Brüssel“. Besonders entlarvend wird es, wenn er erklärt:
„Und Russland für alles Übel in der Welt verantwortlich machen, selbst wenn es sich dabei um offensichtliche Inszenierungen wie in Butscha handelt.“
Offensichtlich gehört Bucha-Leugnung zum “Standard Programm”. Bucha war die erste bekannte große Kriegshandlung der Russen in diesem Krieg, die als Kriegsverbrechen qualifiziert wurde. Dies geschah nach eingehender Untersuchung durch EU, UNHCR, und Internationalen Strafgerichtshof, der ein 42-köpfiges(!) Ermittler-Team entsandte. Dieses Massaker bezeichnet er als “Inszenierung”.
Fragwürdige Fragestellungen
Bemerkenswert ist allerdings auch die Fragestellung des Interviewers::
„Was waren die Hauptgründe für die militärische Intervention Russlands in der Ukraine? Die mögliche NATO-Osterweiterung oder der Kampf ukrainischer Truppen gegen die Zivilbevölkerung im Donbass, der von 2014 acht Jahre gedauert und dem die EU tatenlos zugesehen hat?“
Darauf der Botschafter:
„In dieser Frage ist bereits die richtige Logik erkennbar.“
Welche „Logik“ das sein soll, bleibt unklar – klar ist jedoch, dass der Konflikt im Donbas kein ukrainischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung im Donbass war. Die Ukraine kämpfte gegen russische Söldner (z. B. “Grünen Männchen” und Gruppe Wagner), militante Gruppen wie Sparta oder Rusich sowie gegen russische Soldaten „auf Urlaub“ oder „verlaufene Soldaten“. Diese versuchten, Gebiete zu erobern – mit Unterstützung durch russische Waffen, Propaganda und Finazmittel. All dies blieb ebenso unerwähnt wie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mit Hilfe dieser “grüner Männchen” (=russ. Soldaten ohne Hoheitsabzeichen). s. u. Link 4
Der erste „Verteidigungsminister“ der selbsternannten Volksrepublik Donezk war Igor „Strelkow“ Girkin, ein russischer Ex-Geheimdienstler. Seine Worte in einem Interview 2014: „Ich habe den Auslöser zum Krieg gedrückt.“ (s. unten Link 1 )
Der damalige „Premierminister“ Aleksander Borodai ist heute Abgeordneter der russischen Regierungspartei “Einiges Russland”.
Die Opferzahlen: Fakten
Der Botschafter behaupte erneut, wie bereits 2022 im “Exxpress” Interview:
„Mehr als 14.000 Zivilisten fielen im Osten der Ukraine seit 2014 in den acht Jahren dieser feigen Politik.“
Diese Zahl ist nachweislich falsch. Laut UN-Daten (Quelle: UN-Bericht 2021) wurden rund 3.400 Zivilisten getötet. Die oft genannte Zahl von 14.000 Toten umfasst alle Opfer – also auch Kämpfer beider Seiten. Dass russische und pro-russische Kräfte Mitverantwortung für zivile Opfer tragen – darunter auch für den Abschuss von Flug MH17 mit 298 Toten – bleibt im Interview unerwähnt. s.u. Link 5
Der Redakteur selbst trägt mit seinen Formulierungen erheblich zur Schlagseite des Gesprächs bei – statt seinen Gast zu ‚grillen‘, wärmt er eher für ihn vor:
„Die Kriegstreiber in der EU wie Frau Strack-Zimmermann, aber auch der wahrscheinlich neue Kanzler Friedrich Merz und Ursula von der Leyen werden wohl schwer zu überzeugen sein.“
oder
"Was waren die Hauptgründe für die militärische Intervention Russlands in der Ukraine? Die mögliche NATO-Osterweiterung oder der Kampf ukrainischer Truppen gegen die Zivilbevölkerung im Donbass [...]?" Diese beiden vorgeschlagenen Optionen sind mit die häufigsten Narrative russischer Propaganda. (siehe dazu unsere Artikel zur “NATO-Osterweiterung”)
Der einzige Erkenntnisgewinn, den wir durch dieses Interview erfahren, besteht darin, welche Positionen der Botschafter derzeit offiziell vertreten darf – es wäre auch für ihn gefährlich die “Spezialoperation” als das zu bezeichnen was sie ist, nämlich ein Krieg.
Warum der Redakteur aber so fragt, wie er fragt, bleibt sein Geheimnis.
Es ist der Beurteilung und Einschätzung des Lesers überlassen, ob dieses Interview im russischen Propaganda-Sender RT anders oder genau so gelaufen wäre. Nur ist die Ganze Woche ein Teil der freien österreichischen Medienlandschaft!?
Quellen/Links:
1. Krieg in der Ostukraine 2014, der russische Geheimdienstler und Warlord Girkin "ich habe den Auslöser zum Krieg gedrückt"
2. Angriff auf Mariupol von russ./prorussischer Seite 2015
https://bbc.com/news/world-europe-30967949
3. UN Bericht zu den Opfern im regional begrenzten Krieg in der Ukraine ab 2014 und vor der Full Scale Invasion 2022
https://ukraine.un.org/sites/default/files/2022-02/Conflict-related%20civilian%20casualties%20as%20of%2031%20December%202021%20%28rev%2027%20January%202022%29%20corr%20EN_0.pdf
4. Wagner Söldner gibt Einblick wie die Ereignisse 2014 passiert sind, wie russische Kräfte, Geheimdienstler, Oligarchengelder und Politik involviert waren, ZDF
https://youtube.com/watch?v=lfxXYkrNCug
5. Zum MH17 Prozess, Tagesschau
https://tagesschau.de/ausland/niederlande-mh17-urteil-101.html
6. "Die Leugnung des russischen Imperialismus im Faktencheck", INVED
https://inved-insight.eu/narrative/die-leugnung-des-russischen-imperialismus-im-faktencheck
7. “Putin's undeclared war” - Bellingcat
https://bellingcat.com/news/uk-and-europe/2016/12/21/russian-artillery-strikes-against-ukraine/
8. “The Reality of Russia’s War Against Ukraine”, INVED
https://www.inved-insight.eu/narrative/c36gyt4tu2i46bqg80t33x124sjlqv
9. Das Narrativ der ungerechtfertigten „NATO-Osterweiterung“, INVED
https://www.inved-insight.eu/narrative/das-narrativ-der-ungerechtfertigten-nato-osterweiterung
10. Faktencheck zur russischen Beteiligung im Krieg 2014-, Tagesschau, Faktenfinder
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/russland-ukraine-103.html
11. Insidern berichtet über russiche Trollfabrik, 2015, Der Spiegel
https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/russische-trollfabrik-eine-insiderin-berichtet-a-1036139.html