Missbrauch des Weltkriegsgedenkens durch den Kreml
Die Verbrechen des Nazi-Regimes stellen ein Trauma für ganz Europa dar. Die Millionen in der Shoa getöteten Juden, die zahlreichen Überfälle Hitlers auf West- wie auch Osteuropa, in Verbindung mit dem Wahnsinn des Rassenwahns, des Führerkults und der Expansionskriege, wurden durch die Alliierten am 8. Mai beendet. Viele Millionen der Opfer von Hitlers mörderischer Politik waren Sowjetbürger.
Doch bereits die sowjetische Erinnerungskultur hatte ihre ganz eigene Chronologie. Der "Große Vaterländische Krieg" begann 1941 – die Zeit davor wurde ausgeblendet. Dabei wird der Molotow-Ribbentrop-Pakt, auch bekannt als "Hitler-Stalin-Pakt", gerne ignoriert. Dies war ein Nichtangriffsvertrag, in dessen geheimem Zusatzprotokoll jedoch die Aufteilung Osteuropas zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion vereinbart wurde. Die Sowjetunion marschierte 1939 in Ostpolen ein und annektierte 1940 die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Diese hielt sie bis 1991 illegal besetzt. All dies spielt beim jährlichen "Tag des Sieges" am 9. Mai ebenso wenig eine Rolle wie die Verbrechen des Stalinismus.
Die schon zu Sowjetzeiten begonnene Entstalinisierung wurde unter Putin wieder aufgehoben. Der Flughafen im ehemaligen Stalingrad (heute Wolgograd) wurde in "Wolgograd-Stalingrad" umbenannt. Archive mit den Verbrechen der sowjetischen Geheimdienste wurden vom Geheimdienst gesperrt. Die zur Aufklärung der stalinistischen Verbrechen gegründete NGO Memorial wird vom Regime verfolgt.
Die Militärparade war bereits im Kalten Krieg unschwer als propagandistische Machtdemonstration zu entlarven. Mittelstreckenraketen-Abschusssysteme haben kaum etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun – genauso wenig wie Hyperschallraketen, die Putin gerne auffahren lässt. Das aus der Zarenzeit stammende Militärsymbol des St.-Georgs-Bandes – die orange-schwarzen Farben, die von Stalin reaktiviert wurden – ist speziell seit 2014 im Einsatz, um den russischen Imperialismus in der Ukraine zu kennzeichnen. Auch regimenahe russische Diasporagruppen im Ausland nutzen diese Symbolik – aber nicht nur sie. Neben Sowjetflaggen werden auch die aktuelle russische Trikolore und sogar die Fahne des Zarenreichs geschwenkt, die keinerlei Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg hat.
Kritikerinnen und Kritiker dieser Inszenierungen wird sofort eine Nähe zum Nationalsozialismus oder „Russophobie“ unterstellt – selbst wenn sie selbst Vorfahren haben, die bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus mitgekämpft haben. Der 9. Mai wird immer wieder in den Kontext des russischen Kriegs gegen die Ukraine gestellt. Auch „Z“-Symbole werden gezeigt.
Ukrainische Organisationen wie Vitsche Berlin fordern ein Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs ohne imperiale Mythen, ohne historische Rechtfertigung der aktuellen Aggression.
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