Die Logistik der Propaganda und Desinformation

- Wie gefährliche Narrative in unsere Gesellschaften gelangen. (🇦🇹+🇬🇧)


Die Beeinflussung westlicher Demokratien durch sogenannte „Aktive Maßnahmen“, wie der KGB im Kalten Krieg die Manipulation unseres Informationsraums durch vielseitige Instrumente bezeichnete, hat eine uralte Tradition.(s. Artikel SunTsu) Dabei werden Desinformationen platziert, nach Möglichkeit tatsächlich existierende Missstände angefacht und spaltende, irreführende sowie schwächende Narrative verbreitet. Was erstaunlich ist: Praktisch alle Methoden, die im Kalten Krieg diesbezüglich genutzt wurden, sind auch heute noch im Einsatz. Die Behauptung, dass heute „alles“ digital gemacht wird, stimmt nicht. Was aber richtig ist, ist, dass digitale Operationen – egal ob Hacking oder die berühmten Trollfarmen und Fake-News-Websiten – eine enorme Rolle spielen. Aber diese effektiven „Transportmittel“ haben die klassischen „Aktiven Maßnahmen“ nur ergänzt, eben nicht ersetzt.

Das digitale Zeitalter bedingt auch, dass längst nicht nur Mächte wie die Sowjetunion (heute Russland) das Instrumentarium an Aktiven Maßnahmen ausschöpfen, sondern natürlich auch China, aber auch kleinere Player wie z. B. der Iran oder Venezuela. Der weltweite Top-Player auf diesem Gebiet bleibt aber Russland, das nicht nur auf die Erfahrungswerte aus dem Kalten Krieg setzen kann, sondern propagandistisch auch in vielen Teilen von der historischen Arbeit des KGB profitiert.

Ein Beispiel dafür ist die Instrumentalisierung und Infiltration der westlichen Friedensbewegung im Kalten Krieg. Viele westliche Friedensaktivisten, die von den einseitig antiwestlichen Narrativen dieser Zeit beeinflusst wurden – also die Aggression nur bei der NATO suchten und Moskau grundsätzlich nur „Friedenswillen“ unterstellten – teilen dieses Weltbild noch heute und sind entsprechend für zeitgenössische russische Propagandanarrative empfänglich. In diesem Fall muss Russland gar nicht mehr überzeugen; die Aufgabe besteht eher darin, diese Stimmen zu stärken und zu nutzen – ein Vorgang, der auf Social Media leicht zu bewerkstelligen ist, weil die Algorithmen auf Interaktion gut ansprechen.

Diese Zielgruppe ist zB. auch gut für das (auch von INVED widerlegt ) Narrativ empfänglich, dass die NATO-Osterweiterung für die russische Vollinvasion, die Annexion der Krim und die verdeckte Invasion des Donbas 2014 verantwortlich wäre. Längst hat der Kreml (und auch andere autoritäre Regime) neue, zusätzliche Zielgruppen entdeckt – welche aber, es wiederholt sich das Muster der Medienstrategie, die alten Zielgruppen nicht ersetzten, sondern ebenfalls ergänzten. Die extreme Rechte spielt heute ebenso eine Rolle wie die verschwörungstheoretische Szene, sowjetnostalgische autoritäre Linke und manche Rechtskatholiken.

Diese Grafik zeigt die unterschiedlichen Kanäle, die für ausländische Einflussnahme genutzt werden.

Grundsätzlich ist es natürlich der propagandistische „Goldstandard“ autoritärer Staaten, gewisse Narrative bis in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Dafür sind „Einflussagenten“ – westliche Personen, welche wissentlich oder unwissentlich für ein autoritäres Regime argumentieren, vielleicht sogar lobbyieren, aber ein hohes Vertrauen und Einfluss in der Gesellschaft genießen – ideal. Das können Autoren sein, Personen aus der Wissenschaft, manchmal auch Journalisten, Friedensaktivisten, religiöse Persönlichkeiten oder Künstler sein.

Autoritäre Staaten nutzen vielseitige Kanäle um ihre Zielgruppe zu erreichen

Wer an „Foreign Interference“ oder, wie die EU es ausdrückt, FIMI – Foreign Information Manipulation Interference, also die Manipulation unseres Informationsraumes aus dem Ausland – denkt, landet wohl sehr rasch im digitalen Raum, der tatsächlich eine extrem gewichtige Rolle spielt. Leider werden andere Bereiche inzwischen in der Analyse völlig übersehen. So wird nach wie vor versucht, Botschaften in traditionelle, etablierte Medien zu schleusen, z. B. mit Presseaussendungen, Gastbeiträgen oder in Talkshows, und generell sind Personen, welche für die Regime werben, von höchster Relevanz.

Diese können als „Proxies“ die Narrative der Diktatoren, sofern subtil genug, in Büchern, Fernsehauftritten und bei Real-Life-Veranstaltungen unters Volk bringen. Die bei diesen Aktivitäten erstellten Inhalte können dann über Social Media als „qualitativer Content“ weiterverbreitet werden, denn auch in den sozialen Medien stellt sich die Frage: Wem glauben Sie mehr – einem anonymen Troll ohne Profilbild oder einem Professor?

Wenn der anonyme Troll verbreitet, dass die NATO-Erweiterung Russland zum Einmarsch „gezwungen“ habe und Putin ja nur seine „Sicherheit“ verteidige, wird das rasch (zu Recht) als russische Propaganda abgehakt. Verbreitet ein Professor für internationale Beziehungen oder ein Ökonom genau das gleiche Narrativ, ist das „hochseriöse Realpolitik“ bzw. eine „kritische Perspektive gegen den Mainstream“ – und verfängt ungleich stärker.

Social Media, das Web generell, spielen also eine enorm wichtige Rolle, könnten aber ohne Inhalte und Publikationen aus der realen Welt nicht solch eine Wirkung entfachen. Plattformen wie Telegram haben aber auch eine besondere Funktion als logistische Drehscheibe – für die neuesten Fakes und Propaganda-Inhalte, bis zu gesperrtem RT- und Sputnik-Content.

Auch die kulturelle Propaganda, oft fĂĽr Laien gar nicht als solche erkennbar, spielt eine gewichtige Rolle. Sowohl Russland wie auch China wissen diese exzellent zu nutzen. Freundschaftsgesellschaften erreichen Top-Entscheider aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft; die entsprechenden kulturellen, manchmal sogar kulinarischen Beiträge sollen die autoritäre Struktur der Regime reinwaschen und das politische Lobbying-Interesse kaschieren. Dabei sind sie bei vielen autokratischen Staaten gezielt zur Desinformation und Spionage genutzte und zentral gesteuerte Vorfeldorganisationen der Geheimdienste 

Diese Grafik zeigt am Beispiel russischer Einflussoperationen, wie russische oder eben auch pro-russische Akteure bzw. Einflussnehmer in unterschiedliche Medien gelangen. Desto dicker der Verbindungsstrang, umso stärker die Penetration dieser Medien mit entsprechenden Narrativen. Zu beachten ist allerdings, dass auch dünne Linien – sprich: seltenere erfolgreiche Penetrationen – eben auch massive Auswirkungen haben können, da die Erwartungshaltung, mit Propaganda konfrontiert zu werden, bei seriöseren Umfeldern geringer ist und das persönliche Schild in Form von Skepsis weniger stark vorhanden ist.

Zusammengefasst:

Traditionelle Wege der Einflussnahme, wie die Infiltration von Organisationen, aber auch die Rekrutierung von westlichen Einflussnehmern, die durch traditionelle Medien wie Bücher, Talkshowauftritte, Gastkommentare oder Beratertätigkeiten Narrative eines autoritären Regimes verbreiten, wurden durch digitale Kanäle wie das Internet oder konkreter Social Media nicht ersetzt, sondern vielmehr ergänzt. Gerade in sozialen Medien – das wird oft unterschätzt – eignet sich Content aus dem „realen Leben“, zum Beispiel Auftritte auf Veranstaltungen, Ausschnitte von Reden russlandfreundlicher Professoren, „Experten“ etc., hervorragend für „glaubwürdige“ Propaganda. Diese Inhalte werden dann oft kommentiert bzw. geteilt mit dem Kommentar: „Schau, sogar die berichten es“ bzw. „Sogar ein Professor sagt es“ etc.


Fazit: Die Propaganda ausländischer Mächte trifft uns überall – wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Allerdings ist sie dort, wo wir sie nicht erwarten, besonders wirksam, weil wir sie im „seriösen“ Umfeld oft nicht erkennen.


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ENGLISH VERSION. 🇬🇧

The Logistics of Propaganda: How Dangerous Narratives Enter Our Societies
From Dietmar Pichler

The manipulation of public opinion through so-called active measures has a long tradition. The KGB used this term during the Cold War for operations that included disinformation, the exploitation of real grievances, and the spread of divisive, misleading or weakening narratives. What is remarkable is that most of these methods are still being used. Contrary to the common belief that everything today happens online, digital operations such as hacking, troll farms and fake news sites have not replaced traditional tactics. They have only supplemented them and embedded themselves within a broader system of subversion.

This modern landscape is no longer limited to Russia. China, Iran, Venezuela and other authoritarian regimes now also use these tools. Still, Russia remains the most experienced player. It benefits from decades of practice and draws directly from the Cold War legacy of the KGB. What we see today is a strategic mix of disinformation, psychological influence and long-term narrative shaping.

One historical example is the Soviet infiltration of Western peace movements during the Cold War. Many activists internalized a one-sided worldview, often shaped by agents of influence. NATO was seen as the only aggressor, while Moscow was viewed as a force for peace. This mindset never fully disappeared. Some who were shaped by those narratives remain highly receptive to similar messaging today. Russia no longer needs to persuade them—it only needs to amplify their voices. Social media makes this easy. Its algorithms are not designed to verify truth, but to reward engagement.

A key example is the widely circulated claim that NATO expansion forced Russia to invade Ukraine. Versions of this narrative existed long before 2022 and were already widespread among certain circles. The Kremlin's audience has since grown. Beyond old peace activists, it now includes far-right groups, conspiracy theorists, authoritarian leftists nostalgic for the Soviet Union and some religious hardliners. The goal has remained the same: build new audiences without abandoning the old ones.

These groups are often fed through alternative media spaces, including fringe online channels, pseudo-academic websites and ideological blogs. Within these ecosystems, both overt propaganda and subtler messages can thrive. And they are often pushed by agents of influence—people in the West who are seen as credible and respected.

Writers, professors, journalists, political commentators, artists and public figures can serve as messengers. Sometimes they are aware of the role they play, sometimes not. Books, conference appearances, expert panels and consultancy work become entry points for authoritarian narratives. What makes these narratives effective is not just the format but the framing. Instead of crude propaganda, they appear wrapped in academic critique or the language of realism. Some even lean on elaborate conspiracy theories to position themselves as critical voices against the so-called mainstream.

How Narratives Move Through Old and New Channels

When we talk about foreign interference today, attention quickly turns to social media and cyber operations. These matter, but they are only part of the picture. Traditional methods have not disappeared. Foreign regimes continue to push their messages into legacy media. This happens through press releases, public commentary, TV appearances or behind-the-scenes influence. Cultural diplomacy plays a role as well. Friendship societies and curated events, often including music, literature or cuisine, help polish the regime’s image and distract from its political goals.

This graphic illustrates how Russian and pro-Russian actors gain access to various media environments. The thicker the connection, the deeper the narrative penetration. However, even weak or rare entries can have significant impact, especially in trusted settings where people are less prepared to recognize propaganda and more likely to let their guard down.

This kind of soft power can produce highly effective propaganda material. A public talk, a panel discussion, even a seemingly apolitical book excerpt can become valuable content. Once posted online, these clips or quotes are used to support the claim that “even the experts say it” or “look, they are reporting it too.” It creates the illusion of independent confirmation. Compared to anonymous accounts, a known academic or public intellectual carries far more persuasive power.

Channels like Telegram serve as logistical centers. They help distribute banned media, fake content and talking points from sources like RT or Sputnik. They also function as bridges between state-linked propaganda and conspiracy-based communities that operate outside the mainstream.

Influence Is Not Always Loud or Obvious

Visual models of foreign influence often show how various actors insert themselves into different parts of the media ecosystem. Thick lines show stronger, sustained influence. But even weak or occasional links can matter, especially in places where people do not expect to encounter propaganda. The more credible the environment, the more likely the narrative will go unnoticed—and unchallenged.

Summary

Traditional techniques such as infiltration, narrative laundering and the use of agents of influence remain active. What has changed is that these old methods are now supported by digital tools. Real-world events—such as a speech, a book launch or a media appearance—provide the raw material that is later weaponized online. This blend of physical presence and digital reach gives modern propaganda its strength.

Foreign propaganda reaches us everywhere. But where we expect it least, it is most effective. That is because our guard is down when the message comes through familiar, non-digital environments.

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